Zeitarbeit = Niedriglohnsektor?

Die Bundesregierung antwortete auf Anfrage der Linksfraktion im Sommer 2018: Zum Stichtag 31. Dezember 2017 lag das mittlere Bruttomonatsentgelt (Median) von sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigten Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern (der Kerngruppe) bei 1.868 Euro, im Vergleich zu 3.209 Euro bei allen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten (der Kerngruppe).

Damit scheint auf dem ersten Blick erwiesen, dass Zeitarbeit zum Niedriglohnsektor gehört. Wirklich?

Das Image, das Zeitarbeit zum Niedriglohnsektor gehört, wurde vor allem durch die Einführung der Personal-Service-Agenturen im Rahmen der Hartzreformen und dem Tarifvertrag mit den Christlichen Gewerkschaften gefestigt. Den Christlichen Gewerkschaften wurde die Tariffähigkeit vor knapp einem Jahrzehnt abgesprochen und die Zeiten haben sich geändert, die damalige Einschätzung steckt aber fest in den Köpfen.

Wie kommt es aber dennoch zu dieser deutlichen Diskrepanz?

  • In der Zeitarbeit arbeiten überdurchschnittlich mehr geringqualifizierte Menschen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung schreibt hierzu, dass rund 40 % der Hilfstätigkeiten in der deutschen Wirtschaft von Zeitarbeitern abgedeckt werden. Der Anteil der Zeitarbeit an allen sozialversicherten Beschäftigten beträgt in Deutschland weniger als 3 %. Rund jeder dritte Zeitarbeiter ist gering qualifiziert. Viele darunter, die durch Rationalisierungsmaßnahmen aus reguläre Jobs gespült wurden. Gerade in den unteren Lohngruppen finden sich kaum mehr Stammkräfte. Aber alleine die Tatsache, dass jeder dritte Zeitarbeiter gering qualifiziert ist und damit wenig verdient, drückt den Einkommensdurchschnitt deutlich.
  • Bei einer linkssteilen (rechtsschiefen) Verteilung (mehr gering qualifizierte siehe oben) ist der Median kleiner als das arithmetische Mittel. Letzteres versteht man in aller Regel unter Durchschnitt.
  • Zeitarbeiter haben eine geringere Betriebszugehörigkeit und Neue verdienen meist weniger als langjährig Beschäftigte.
  • Es wurden nur Vollzeitstellen betrachtet. Aber es sind häufig Teilzeitstellen, die in nicht tarifgebundenen Unternehmen auf sehr niedrigem Lohnniveau angeboten werden. Anmerkung: 84 % der Zeitarbeiter arbeiten in Vollzeit, während nur gut 60 % der Arbeitskräfte in Deutschland in Vollzeit arbeiten
  • Es gibt einige Branchen, in denen die sozialversicherungspflichtig Beschäftigte deutlich besser verdienen als in anderen Wirtschaftszweigen, dazu gehört der Metall- und Elektrobereich. Hier gibt es sog. Branchenzuschlagstarifverträge, die den Lohnunterschied über 15 Monaten ausgleichen. Leider ist dann in aller Regel nach 18 Monaten Schluss und der Zeitarbeiter arbeitet dann bei einem anderen Unternehmen zu deutlich schlechteren Konditionen – so gesetzlich gewollt (AÜG-Reform 2017).

 

Der geringste Tariflohn in der Zeitarbeit beträgt ab 1. April 9,79 € (West) bzw. 9,49 € (Ost), der gesetzliche Mindestlohn liegt aktuell bei 9,19 €. Gerade die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns (9,19 €!) ist Gegenstand unzähliger „erfolgreicher“ Zollprüfungen. Was glauben Sie, was die freundliche Dame beim Bäcker oder in der Kantine hinter dem Tresen verdient? Wahrscheinlich würde sie in der Zeitarbeit mehr verdienen.

Es gibt viele Ansätze zur Lohngerechtigkeit. Betrachtet man die Leistungsgerechtigkeit bzw. die Produktivität, ist der Lohnspielraum bei Tätigkeiten für un- bzw. angelernte Kräfte überschaubar.

Eine Vollzeitbeschäftigung auf Mindestlohnniveau (egal ob 9,19 € oder Zeitarbeit) ist geprägt von ökonomischen Sachzwängen, eine Familie ist damit nicht zu ernähren, die Gesellschaft muss hier helfen und es zeigt auch deutlich, dass eine fehlende Qualifikation und Berufsausbildung die Gefahr von Armut deutlich steigen lässt und nicht die Tatsache, dass jemand in der Zeitarbeit beschäftigt ist.

Dennoch bleibt ein Lohnunterschied, nur nicht so drastisch, wie oben beschrieben! Ja, ein Zeitarbeiter verdient in aller Regel weniger als eine Stammkraft, aber dies gilt nicht für alle Unternehmen und Branchen. Betrachtet man z. B. die Altenpflege, ist festzustellen, dass die Zeitarbeiter durchaus besser verdienen und die besseren Bedingungen vorfinden. Nicht umsonst „fliehen“ einige Kräfte um sich über Zeitarbeit besser zu stellen.

Aufgrund der Arbeitsmarktsituation ist es auch nicht ungewöhnlich, dass qualifizierte Zeitarbeiter auch mehr verdienen, als regulär beschäftigte Kräfte. Aus unseren Projekten kann ich diese Aussage bei Fachkräften und Akademikern in vielen Bereichen klar bestätigen.